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Osnabrücker Land
Gertrudenberg
(Osnabrück)
Hüggel
(Hagen a.T.W. / Hasbergen)
Hüls
(Hilter a.T.W.)
 

Wie sind Kalksteinhöhlen entstanden?

Von Hans Morlo *

Immer wieder bin ich als Höhlenforscher gefragt worden, wie denn eigentlich Höhlen entstehen können bzw. entstanden sind. Deshalb folgt hier der Versuch, die Entstehung von Höhlen verständlich zu erklären.

Höhlen entstehen durch Wasser, das allmählich Felsgestein auflöst bzw. abträgt. Voraussetzung dafür ist, dass der Fels kalkhaltig ist. Diese Auflösung / Abtragung wird "Verkarstung" genannt - nach einer höhlenreichen Gegend in Jugoslawien, dem "Karst".

Die Auflösung / Abtragung des Felsgesteins erfolgt auf chemischem Wege durch die sog. "Korrosion" und / oder auf mechanischem Wege durch die sog. "Erosion".

Am Beispiel der Gertrudenberger Höhle in Osnabrück sollen die Vorgänge nachfolgend dargestellt werden:

Kurz vor dem Jahre 1333 ließ die Äbtissin des Benediktinerinnenklosters in Osnabrück zur Bewässerung eines Gemüsegartens einen Brunnen schlagen. In vierzig Metern Tiefe wurde ein Hohlraum durchteuft. In historischen Berichten wurde kurz nach 1333 berichtet, dass niemand vom dem Hohlraum und von seinem Entstehungsgrund Kenntnis hatte. Das führte bis in die Gegenwart dazu, dass die abenteuerlichsten Entstehungsursachen diskutiert wurden.

Es handelt sich bei der Gertrudenberger Höhle um einen uralten Steinbruch auf Trochitenkalk, der nach der "Sibbe-Methode" abgebaut wurde, genannt nach einem niederländischen Ort Sibbe (nahe bei Maastricht). Die 2,05 m mächtige Schicht Trochitenkalk ist sehr hart, äußerst kalkreich und deshalb besonders als Mauerstein geeignet. Der Trochitenkalk ist 235 Millionen Jahre alt, eine Formation des Oberen Muschelkalks; typisches Erkennungsmerkmal sind die Stängeln von fossilen Seelilien.

Trotz dass es sich bei der Gertrudenberger Höhle um einen unterirdischen Steinbruch handelt, konnten auch frühe Karsterscheinungen entdeckt werden.

A) Korrosion

Korrosion kann ausgelöst werden durch in den Fels hineinrinnendes Wasser und durch im Berg vorhandenes stehendes Wasser.

Korrosion durch rinnendes Wasser

1. In Vorzeiten sind durch Bergbewegungen (Tektonik) Risse, Spalten und Klüfte im Felsgestein entstanden.

2. Regenwasser fällt auf einen Kalkfelsen, der mit Pflanzen, Gras und Humuserde bedeckt ist. Die Regentropfen nehmen aus der Humusschicht Kohlensäure (CO2) auf, werden so kalkaggressiv.

3. Das kalkaggressive Wasser sickert in den Berg hinein und rinnt (zum Beispiel) an der Wand eines Risses entlang, löst dort aus dem Fels chemisch einige wenige Kalkatome auf (Korrosion) und nimmt sie mit auf ihrem Weg nach unten bis letztendlich zu einer wasserstauenden Gesteinsschicht. Im Gertrudenberg ist das die Schicht der "Gelben Basiskalke" (s. Abb. 1).

Falls das kalkgesättigte Wasser jedoch auf seinem Weg nach unten einen Hohlraum erreicht, kann das Wasser den Kalk nicht mehr an sich binden; der Kalk fällt aus und bildet Sinter (Tropfsteinformationen verschiedenster Gestalt).

Abb. 1: Terebratelpflaster in den "Gelben Basiskalken"
der Arbeitsfläche des ehemaligen Steinbruchbodens im Gertrudenberg.
Aus: MARKS (2012), S. 171.

4. Die kalklosen oder kalkarmen Gesteinsreste (Ton oder Mergel) an der Risswand bröckeln mit der Zeit von der Wandoberfläche ab und sammeln sich über der nächsten unterlegenden Gesteinsschicht als feuchter Lehm. Auf diese Weise wird der Riss ein klein wenig breiter.

Korrosion durch im Fels stehendes Wasser

Stehendes kalkaggressives Wasser kann seitlich, nach oben und unten aus kalkhaltigem Felsgestein Kalk chemisch auflösen, soweit der "Boden" der Wasseransammlung nicht mit Lehm bedeckt ist. Die Kalkmoleküle und die entkalkten Felsreste "schwimmen" dann wie in einem "Wassersack". Dieser Vorgang wird auch als Laugung bezeichnet. Falls durch geologische oder andere Gegebenheiten das Wasser abfließt, nimmt es die schwebende Fracht mit - es bleibt ein Hohlraum zurück.

Durch Korrosion werden also Hohlräume in Kalkfelsen erzeugt und vergrößert. Das geschieht zwar sehr langsam, aber stetig.

Aber nicht jede Felsformation enthält Kalk, nicht überall kann Regenwasser hinkommen und die Kalkkonzentration kann schichtweise variieren, was zu unterschiedlichen Lösungsmengen führt.

B) Erosion

Wasseransammlungen an der Erdoberfläche und auch im Berg stehen als See und / oder fließen bergab als Gerinne, Bach oder Fluss. Dabei wird der Untergrund durch mechanische Abtragung (Erosion) ausgewaschen, und das funktioniert auch bei nicht-kalkhaltigem Felsengestein.

Ergebnis

Diese beiden (eigentlich recht unscheinbaren, wenn auch geringen) Kräfte sind zwar einfach zu erklären, ihre extrem lang andauernde Wirkungsweise ist jedoch im Moment der Betrachtung nicht "sichtbar" und entziehen sich deshalb auch unserer Vorstellung.
(Wie viele Wassertropfen sind gerade jetzt unterwegs, aber nicht zu sehen? Wie lange brauchte das Wasser des Colorado, um den Gran Canon durch Erosion in den Felsen zu vertiefen?)

Wenn man durch eine Höhle kriecht und immer wieder andersartige Raumformen antrifft, fällt es schwer zu glauben, dass die sichtbare Formenvielfalt auf die beiden Ursachen Korrosion und Erosion zurückzuführen sein soll. Aber jeder Regenguss auf jeden Kalkberg (mit Biomasse obendrauf) führt zu Wassertropfen in seinem Inneren, die Kalk auflösen, und jedes fließende Wasser löst ein wenig von dem Untergrund auf und vertieft ihn und zwar sehr langsam, aber über Millionen lang.

Ähnliche Gedanken können aufkommen, wenn man z. B. die unterschiedlichsten Lebewesen und Pflanzen betrachtet, die wie bekannt alle aus im Prinzip gleichartigen Zellen aufgebaut sind.

Besondere Korrosionsarten und -formen

Folgende Begriffe sollten als Besonderheiten der Korrosion näher erläutert werden:

Schlüssellochprofil, Deckenkolk, Mischungserrosion und Phantomkarst.

1. Schlüssellochprofil

Wenn sich eine senkrechte Kluft mit einer waagerechten Schichtfuge kreuzt, kann die Korrosion am Kreuzungspunkt besonders gut "angreifen" und es entsteht eine waagerechte Höhlenröhre.

Wird diese Röhre später dauerhaft von Wasser durchflossen, wird der Boden der Röhre durch Erosion zu einem kastenförmigen Hohlraum ausgewaschen. Dieser oben runde und nach unten vertiefte Umriss erinnert an ein Schlüsselloch, deshalb der Name.

In der Weißen Kuhle, einer Zechstein-Höhle in Marsberg, ist ein solches Schlüssellochprofil zu sehen. Der Durchmesser der Röhre beträgt ca. 1,5 m und die Vertiefung nach unten etwa 0,5 m.
Bei den Höhlenführungen des Autors wurde jedem Besucher das Schlüssellochprofil gezeigt und erklärt, wie es entstanden ist. Ein Foto liegt aber leider nicht vor.

2. Deckenkolk

Wenn an der Decke eines wasser-gefüllten Hohlraums Wasser von oben zuläuft, wird eine besondere Korrosionsform wirksam, nämlich die Mischungskorrosion, die von Alfred BÖGLI, einem bekannten Geologen und Höhlenforscher 1963 "erfunden" und erläutert wurde.

In der Gertrudenberger Höhle sind zwei Deckenkolke vorhanden (ein kleiner Kolk, s. Abb. 2) und ein großer mit etwa 30 cm Durchmesser (s. Abb. 3). Der "große" Deckenkolk stellt einen Hohlraum dar, als sei ein Kochtopf umgekehrt in die Decke eingesenkt worden.

 
Abb. 2: Der "große" Deckenkolk aus der Gertrudenberger Höhle
in Osnabrück.
Aus: MORLO (2013), S. 114.
  Abb. 3: Ein "kleiner" Deckenkolk aus der Gertrudenberger Höhle
in Osnabrück.
Aus: MORLO (2013), S. 130.

3. Mischungskorrosion

Abb. 4: Mischungskorrosion nach Alfons Baier
(Zeichnung: Ty von Sevelingen, 23.05.2004, Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Alfons Baier: Mischungskorrosion im Karstwasserkörper

"Das Phänomen, dass die Vermischung verschieden harter Gewässer Korrosionserscheinungen in Trink- und Abwasserleitungen hervorruft, war in der Praxis der Wasserversorgung seit langem be-kannt. In der Karsthydrogeologie erkannte jedoch erst BÖGLI (1964) die Bedeutung der Mischungskorrosion für die subterranen Verkarstungsvorgänge:

Durch die hierdurch hervorgerufenen chemischen Reaktionen kann die Korrosion von Karbonaten auch im Karstwasserkörper selbst stattfinden. Die Mischungskorrosion tritt im Gegensatz zur Normalkorrosion im gesamten Karst auf, an der Oberfläche ebenso wie in den tiefsten Teilen des Karstwasserkörpers.

Mischungskorrosion findet überall da statt, wo sich zwei Gleichgewichtswässer mit unterschiedlichen Kalkgehalten oder verschiedenen Wassertemperaturen mischen. Durch die Vermischung der beiden Wässer enthält die neue Mischung überschüssiges CO2, das sofort wieder Kalk löst. Diese zusätzlich gelöste Kalkmenge wächst mit dem Ausmaß des Unterschieds der beiden Ausgangskonzentrationen: Vermischen sich z. B. zwei Wässer mit 10 mg/l und 400 mg/l gelösten Kalk im Verhältnis 1:1, so beträgt die zusätzlich gelöste Kalkmenge 51 mg/l. Durch die Mischungskorrosion lassen sich die im Karstgebirge beobachteten großen Lösungshohlräume (auch jene tief unter der Karstwasseroberfläche) schlüssig erklären. Das Phänomen, dass die größten Hohlräume im Karstgebirge nicht an der Eintrittsstelle des Wassers, sondern im Innern des Gebirges zu finden sind, wird auf derartige Vorgänge zurückgeführt. Es ist ein 'Paradoxon der Mischungskorrosion', dass umso mehr zusätzlicher Kalk gelöst wird, je höher die Konzentration des einen kalkreicheren Ausgangswassers war."

Erläuterung zur Mischungskorrosion:
Je kalkaggressiver das Wasser ist, desto mehr Kalk wird gelöst. Deshalb steigt die stark gezeichnete Kurve von links nach rechts an. Dieser Anstieg ist jedoch nicht proportional, sondern deutlich überproportional. Deshalb biegt die Kurve nach rechts ab. Mischen sich die Wässer von Punkt 1 und Punkt 2, so ist die Wassermischung wieder in gewissem Maße kalkaggressiv.

Zur Zeit der Entstehung der Deckenkolke in der Gertrudenberger Höhle muss der (wahrscheinlich nur kleine) Hohlraum unter der Decke wassergefüllt gewesen sein. Das kann nur lange vor dem historischen Trochitenkalk-Abbau geschehen sein.

4. Phantomkarst

Dieser erst vor wenigen Jahren geprägte Begriff wird von Stephan Marks (s. MARKS, S. 171 - 180) allgemein erläutert und auf die Gertrudenberger Höhle angewendet, die damit als erste Belegstelle im deutschen Sprachraum für Phantomkarst gilt.

Zitat aus MARKS ab S. 174:
(nebensächlich erklärende Einschübe wurden durch "[...]" ersetzt)

"Nun gibt es seit wenigen Jahren in der französischsprachigen Literatur den Begriff 'Phantomkarst' ('karst fantômique'). [...]

Der Begriff selbst wurde durch Quinif entwickelt und von QUINIF & VERGARI (1997) eingeführt. [...]

Sie verstehen darunter eine isovolumische chemische Lösungsform, die die Strukturen des Gebirges an Ort und Stelle erhält. Diese ersten Beschreibungen von Phantomkarsterscheinungen sind der Anfang, die Geburt der Phantomkarst-Theorie. [...]

Der Vorgang der Phantomkarstbildung oder der Phantomisierung eines Gesteines findet an Ort und Stelle statt, 'in situ', und bedarf keines offenen Hohlraumes, der durch Lösung oder durch mechanische Vorgänge entstanden ist, und keines in einem offenen Hohlraum fließenden Wassers.

In dieser Frühphase der Verkarstung, die der bisherigen klassischen Karsttheorie vorhergeht, wird der 'gesunde' Kalkstein entlang von Diskontinuitätsflächen, und das können alle Flächen im Gesteinskörper sein, die den Zutritt von Wasser erlauben, 'verändert'. Wasser als Lösungsmedium sickert durch den Gesteinsverband, beispielsweise einem Störungssystem folgend. [...]

Die lösende Kraft des Wassers kann durch höhere Kohlendioxyd- oder Schwefelsäuregehalte verstärkt werden, die entweder von der Oberfläche her mit eingetragen oder auf dem Sickerweg aufgenommen werden. Entlang von Lineamenten (linienhaften Erstreckung von Störungen, Schichtflächen) im Gesteinskörper wird der Verband der das Gestein aufbauenden Kristalle selektiv verändert. Dabei kommt es zur In-situ-Lösung von lösbaren Mineralien, wie beispielsweise der kalkigen Bestandteile. Die lösbaren Mineralien werden in Lösung transportiert. Dabei wandert das Wasser durch das Gestein in Form einer Migration. Währenddessen verbleibt der unlösbare Bestandteil an Ort und Stelle und zeichnet in Form eines Gerüstgitters den Lösungskörper nach. Dieses wird nach QUINIF, 2010, als Isoalterit benannt. [...]

Dieser Gesteinslösungskörper, der Isoalterit [...] vergrößert sich in der Zeit unregelmäßig nach außen mit einer in der Regel scharfen Abgrenzung zum gesunden Gesteinsverband. In diesem Stadium der Gesteinsumwandlung findet noch keine Hohlraumbildung statt. Das Wasser bildet auf Grund seiner Kapillarkräfte das Stützmedium dieser phantomisierten Gesteinsbereiche.

Tektonische Strukturen, Sedimentstrukturen, Fossilinhalte oder andere Gesteinsstrukturen wie Kluftfüllungen bleiben im Gesteinsphantom makroskopisch erhalten. Die Farbe des Gesteins ändert sich entsprechend der Farben der Reliktstrukturen. Im Gertrudenberg sind dies überwiegend warmbraune bis gelbbraune Farben. [...]

Diese [...] als Vorphase der klassischen Verkarstung zu bezeichnende Phantomisierung ist an kontinentale, festländische, ruhige Zeiten gebunden. Die Erosionsvorgänge an der Oberfläche sind in eine ruhige Phase eingetreten, es finden in Flüssen keine wesentlichen oder nur geringere Sedimenttransporte auf Grund eines fehlenden oder nur schwachen Gefälles statt. Das Wasser kann ruhig in den Gesteinsverband eintreten. Die Grundwassersäule steht hoch, dieses ermöglicht langsame Lösung und lange Lösungszeiten.

Ändert sich das Regime im Umfeld durch beginnende tektonische Unruhen, Hebungen oder Senkungen des Gebirges, und fördert dadurch eine Änderung der Vorflutlage also des relativen Niveaus der Vorfluthöhe, beginnt die Phase der unterirdischen Hohlraumbildung, die als klassischer Karst bekannt ist.

Der stützende Wasserdruck der Grundwassersäule im noch makroskopisch vorhandenen Gesteinsverband des Isoalterites nimmt ab und verschwindet durch das Absinken des Grundwasserspiegels vollständig. Jetzt kommt es zu einem Zusammenbrechen der phantomisierten Gesteinsbereiche, des Isoalterites. Nach QUINIF, 2010, bildet sich aus dem Isoalterit der Alloalterit. (Der Alloalterit bezeichnet die nach der fehlenden Stützfunktion des Wassers zusammengefallenen, verdrückten oder verrutschten Isoalteritfüllungen, die jetzt nicht mehr am primären Ablagerungsort vorliegen.) Diese Reliktsedimente sacken zusammen und bilden in diesem Kompaktionsbereich u-förmige Lagen. Diese Lagen zeichnen ehemalige Schichtungslinien des Kalksteines nach und zeigen so deutlich die In-situ-Situationen des phantomisierten Gesteinsmaterials an. Am Top der zusammengebrochenen Sedimentsäule bildet sich im Kontakt zum 'gesunden' Kalkstein ein erster, offener Hohlraum, der es erst jetzt dem Wasser erlaubt, frei zu fließen. Von jetzt an sind erosive, mechanische Vorgänge des Sedimenttransportes möglich und das Wasser kann den gesamten phantomisierten Gesteinskörper durch erosiven Transport durch rückschreitende Erosionsvorgänge und von 'oben' nach 'unten' ausräumen. [...]

Für den Gertrudenberg bedeutet dies, dass die Phantomkarsterscheinungen im Muschelkalk zu einer geologischen Zeit entstanden sind, als die Ausräumung der heutigen Täler, also die heutige Nivellierung der Landschaft noch nicht stattgefunden hatte. Die Grundwassersäule zur Zeit der Phanto-misierung muss über dem Niveau der heutigen Lage der phantomisierten Muschelkalkgesteine gelegen haben. Ein Grundwasserflussgefälle hat im Wesentlichen noch nicht existiert. Entsprechend hoch lag das Vorflutniveau. Der Vorgang der Phantomisierung findet in der phreatischen, d.h. der wasser-gesättigten Phase statt. Erst die zusammengebrochenen phantomisierten Bereiche (s. Abb. 13) weisen auf eine tieferliegende, dem heutigen Niveau sich nähernde oder diese schon erreichende Vorflutlage hin und sind mindestens teilweise auch schon vadose (der Grundwasserspiegel liegt tiefer) Bildungen. Dies zeigt aber auch deutlich, dass der Vorgang der Phantomisierung phänomenologisch älter als die 'klassischen' Karsterscheinungen ist und somit dem Karstformenschatz einerseits zuzurechen ist. Andererseits stellt dieser Vorgang somit die ältesten Bildungen eines Karstzyklus in der jeweiligen Karstlandschaft dar."

Kurzfassung Phantomkarst:

Zeitlich weit vor der "klassischen Verkarstung" sickert Wasser in den Fels, das verstärkt Kohlendioxyd- oder Schwefelsäuregehalte an der Erdoberfläche oder auf dem Weg nach unten aufgenommen haben kann. Trifft dieses Wasser auf Kalkgestein, ersetzen Kohlendioxyd und / oder Schwefelsäure den Kalk im Fels; der Kalk verbleibt im stehenden Wasser oder wird vom Wasser fortgeführt. Dieser "Stoffwechsel" verändert die Farbe des Felsens, nicht aber die Gestalt des Felsgesteins.

Anhand zweier Fotos (u.a.) stellt Stephan Marks beispielhaft die Wirkung von Phantomkarst in der Gertrudenberger Höhle dar (s. MARKS, S. 175, Abb. 9 und S. 178, Abb. 13).

Abb. 5: Durch Phantomisierung erzeugte Farbänderungen
in der Decke der Gertrudenberger Höhle.
Aus: MARKS (2012), S. 175, Abb. 9.
Die Bilderklärung von MARKS (2012) zu seiner Abb. 9 lautet:
"Gut zu erkennen ist die Zerlegung des Gesteinskörpers an der Steinbruchdecke in zahlreiche kleinräumige Gesteinsquader, die durch Klüfte oder Schichtflächen voneinander gelöst sind.
Entlang dieser Fugen ist das Eindringen der Phantomisierungsfront in das 'gesunde' Gestein durch die damit verbundene Farbänderung von grauen zu gelblich-braunen Gesteinsfarben gut zu sehen."

 

Abb. 6: Die sog. Phantomkarst-Kluft in der
Gertrudenberger Höhle in Osnabrück.
Aus: MARKS (2012), S. 178, Abb. 13.
Die Bilderklärung von MARKS (2012) zu seiner Abb. 13 lautet:
"Übersicht über eine phantomisierte senkrechte Kluft im Übergang der Gesteine der 'Tonplattenfazies' zum Trochitenkalk."

 

Kommentar: Die sogenannte Phantomkarst-Kluft in der Gertrudenberger Höhle (s. Abb. 6) wird bei MARKS als phantomisierte Kluft genannt, die dann in der nachfolgenden Zeit der "klassischen Verkarstung" zu der im Bild gezeigten Form umgebildet worden ist (wie im oben ausgedruckten Zitat im vorletzten Absatz nachzulesen ist).

Zusammenfassung und Ausblick:

In diese Manuskript wurde theoretisch geklärt, wie Kalksteinhöhlen entstehen können.

Die bei der Höhlenentstehung beteiligten Naturkräfte wurden an Beispielen aus der Gertrudenberger Höhle in Osnabrück dargestellt.

Im Einzelnen waren es die folgenden Naturkräfte:

Die "normale" Korrosion und ihren "Unterarten"
der Korrosion bei im Fels stehendem Wasser (Laugung),
den besonderen Korrosions-Ausbildungformen (Schlüssellochprofil und Deckenkolk)
und den besonderen Korrosionsarten Mischungskorrosion und Phantomkarst

und schließlich die Erosion.

 

Literatur:

BAIER, Alfons (2013): Mischungskorrosion im Karstwasserkörper.
http://www.angewandte-geologie.geol.uni-erlangen.de/mischung.htm (abgerufen: 13.04.2020).

BÖGLI, Alfred (1963): Ein Beitrag zur Entstehung von Karsthöhlen. In: Die Höhle. Zeitschrift für Karst und Höhlenkunde. Band 14, Nr. 3, 1963, S. 63 - 68.

FÉNELON, Paul (1976): Altération en profondeur des calcaires. In: Norois, 92 (1976): S. 597 - 603, 1 sw-Abb.

MARKS, Stephan (2012): Phantomkarst im Muschelkalk von Osnabrück. Erste Beschreibung im deutschen Sprachraum. Verein Gertrudenberger Höhlen Osnabrück e.V. (Hrsg.). S. 171 - 180, 15 Abb.; Osnabrück.

MORLO, Hans (Texte und Zusammenstellung) & STOLTENBERG, Andreas (Fotos) (2013): Fotodokumentation der Gertrudenberger Höhlen Osnabrück. 239 S., 563 Abb. [unveröff.]

QUINIF, Yves (2010): Fantômes de roche et fantômisation. Essai sur un nouveau paradigme en karstogenese. In: Karstologia Memoires, 18: 183 S., zahlr. farb. + sw-Abb.

QUINIF, Yves & VERGARI, Anne (1997): Les paléocarsts de Hainaut (Belgique). Geodinamica Acta, 1997, 10 (4), S. 175 - 187; Paris.

Verein Gertrudenberger Höhlen Osnabrück e.V. (Hrsg.) (2013): Höhlen im Gertrudenberg und Gänge unter Osnabrück. 203 S., zahlr. farb. + sw-Abb.; Osnabrück.

 

* Anschrift des Verfassers:
Hans Morlo, Dorbaumstraße 38, 48157 Münster, Tel.: 0251 / 32 97 47, E-Mail: hans@morlo.net .


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