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Osnabrücker Land

 

Wie die Riesen Kalzibod und Silibod den Teutoburger Wald erbauten 1


Wenn man im Flugzeug den Teutoburger Wald der Länge nach überfliegt, so erkennt man deutlich den Plan, nach dem er aufgebaut ist. Man hat dann einen Überblick über das Ganze, während man auf der Erde meistens nur einzelne Berge sieht. Und da erkennt man dann aus der Vogelschau, daß der Teutoburger Wald in der Hauptsache aus zwei gewaltigen Wällen besteht, ähnlich den Festungswällen, die früher um eine mittelalterliche Stadt liefen. Nur laufen die beiden Gebirgswälle nicht in die Runde, sondern gestreckt nebeneinander her, ungefähr in der Richtung von Osten nach Westen.

Gewaltig sind die beiden Wälle, ihre Länge mißt über hundert Kilometer, ihre Breite Hunderte von Metern, ihre Höhe aber übertrifft die höchsten von Menschenhand aufgetürmten Festungswälle um ein Vielfaches. Und das ist kein Wunder, denn nicht Menschenhände bauten die Wälle, sondern Riesen.

Sie lebten unter ihren Herzögen Kalzibod und Silibod vor Jahrhunderttausenden in der Gegend südlich von unserem Gau Weser-Ems in der großen Ebene, die heute nach der größten Stadt darin den Namen "Münstersche Ebene" trägt. Sie lebten in beständigem Kampf mit einem Zwergengeschlecht, das in der Norddeutschen Tiefebene hauste und seine Herrschaft immer weiter nach Süden auszudehnen suchte. Was den Zwergen an Größe und Kraft abging, ersetzten sie durch ihre riesige Zahl und durch ihre unermüdliche Angriffslust. Die Riesen hatten gar nicht Arme genug, um das bald hier, bald da eingedrungene Gesindel wieder hinauszuwerfen. Sie konnten gar nicht schnell genug von einem Ende der Front zum anderen laufen, so lang auch ihre Beine waren. Und was das schlimmste war, die Zwergenbrut war unermüdlich: Tag und Nacht, Sommer und Winter schwärmte sie durch das weite Land und hielt die Riesen dermaßen in Atem, daß sie überhaupt keine Ruhe mehr fanden.

Jahrtausende hatte der Kampf schon gewährt, und unsere beiden Riesenfürsten aus der Münsterschen Ebene erkannten schließlich, daß sie dem Druck der unruhigen Nachbarn auf die Dauer nicht standzuhalten vermochten. Was half es, wenn es ihnen manchmal gelang, einem ganz feindlichen Haufen den Rückweg abzuschneiden und sie dann Hunderte und Tausende wie Wanzen plattschlugen mit ihren Riesenfäusten! Auszurotten waren sie nicht. Wo tausend vernichtet wurden, tauchten am nächsten Tage zehntausend wieder auf; ihre Zahl schien Legion zu sein.

Da kam Kalzibod, der jüngere der beiden Riesenbrüder, der immer als der Gescheiteste gegolten hatte, eines Tages auf einen klugen Gedanken. "Silibod, Bruderherz," sprach er, "so geht es nicht lange mehr weiter. Dieser elende Kleinkrieg wird uns vor der Zeit alt und mürbe machen, und dann wird das freche Gesindel unser Land in Besitz nehmen. Auch unsere Leute werden des ewigen Kampfes oder vielmehr des ewigen Hin- und Herrennens müde. Denn Kampf kann man die Abwehr dieser Heuschrecken nicht nennen, von denen man bequem einige Dutzend auf einmal zwischen den Fingern zerquetschen kann. - Höre, was ich mir ausgedacht habe. Wir wollen einen Wall bauen, so hoch und steil, so stark und fest, daß der Feind ihn weder erklimmen, noch mit seinen Werkzeugen zerstören kann. Dann haben wir endlich Ruhe vor den Plagegeistern." Der Vorschlag gefiel Silibod, und sie machten sich mit ihren Mannen alsbald ans Werk. Als Material nahmen sie auf Silibods Vorschlag Sandsteine, die an die Nordgrenze ihres Landes, wo sie den Kampf gegen das Zwergenvolk führten, in schier unerschöpflichen Mengen vorhanden waren. Kalzibod hielt zwar Kalksteine für besser geeignet, da sie härter seien, aber da er merkte, daß Silibod aus seinem Kopfe auch etwas zu dem Plan beisteuern wollte, gab er nach.

Jahrtausende bauten sie an dem Werk. Denn was bei uns Jahrtausende sind, sind bei den Riesen Jahrzehnte. "Bruderherz," sprach Silibod, "wie wäre es, wenn wir vor dem Walle, etwa in der Mitte, noch ein Vorwerk errichten von besonderer Stärke, eine Art Außenfestung. Wir könnten dort eine beständige Wache errichten, die nach rechts und links beobachtet, ob die Teufelskerle nicht doch auf irgendeine Weise den Wall anzugreifen versuchen." Er sagte das hauptsächlich, weil er im verborgensten Winkel seines Herzens manchmal eine gewisse Unruhe verspürte, da er entgegen Kalzibods Rat auf dem Sandsteinwall bestanden hatte. Meistens hatten sich Kalzibods Ratschläge als die richtigen erwiesen. "Tue das, mein Lieber," erwiderte Kalzibod, und Silibod betrieb den Bau dieses Außenwerks mit besonderem Eifer.

So entstand zuerst der nördliche Zug des Teutoburger Waldes, die Sandsteinkette, zu der die heute mit Tannen bewachsenen Rücken der Margareten-Egge, des Borgbergs, des Urbergs, des Limbergs usw. gehören. Damals nach der Fertigstellung hingen diese Berge alle noch miteinander zusammen. Sie bildeten einen langgestreckten Wall, der damals viel höher war als die von ihm heute übriggebliebenen Bergrücken. Der Nordabhang war besonders steil. Das gewaltige Vorwerk aber, das an Mächtigkeit und Höhe den eigentlichen Wall noch überragte, ist die Dörenberggruppe, die auch heute noch am besten erhalten ist. Es gehören dazu der Dörenberg, der Reremberg, der Baumannsknollen und andere. Namentlich der Dörenberg, der Blitzkopf und der Grafensundern überragen noch heute den ganzen Teutoburger Wald und haben ihren Zusammenhang am besten bewahrt.

Jahrtausende waren seit der Vollendung des Walles wieder über Land, Riesen und Zwerge hinweggezogen. Hatte der Wall dem Vordringen des Zwergenvolkes Einhalt geboten? Wohl hatte er es verlangsamt, zum Stillstand gebracht hat er es jedoch nicht. Zähe und unermüdlich, wie die Zwerge waren, gingen Sie daran, den Wall anzubohren, an tausend Stellen zugleich. Schnell hatten sie die weichsten Stellen herausgefunden, wo das Bindemittel, der Mörtel, die Steine nicht fest genug aneinanderkittete. Bald entstanden Löcher, Höhlen, Rillen, Einschnitte, die sie mit Messern und Schabern, ja, mit den Nägeln ihrer Hände erweiterten und vertieften.

Groß war der Jubel des Zwergenvolkes, als der erste vollständige Durchbruch gelungen war. Die beiden Riesenbrüder erkannten, daß der Wall auf die Dauer nicht zu halten war, daß er von den nimmermüden Nagewürmern schließlich in Stücke zersägt werden würde.

Tief ließ Silibod sein schweres Haupt auf die Brust hängen, so daß sein Bruder trotz eigener Sorge Mitleid mit ihm fühlte. "Bruderherz," redete er ihn an, "laß den Mut nicht sinken. Noch ist nicht alles verloren. Laß uns einen zweiten Wall bauen, er fester ist als der erste. Wir können uns ja noch mehr Zeit dazu nehmen als beim ersten Wall, weil der Sandsteinwall die Höllenbrut immerhin noch einige Zeit aufhält. Vielleicht nehmen wir diesmal Kalksteine, die etwas weiter südlich in ausreichender Menge zur Verfügung stehen." Silibod drückte dem gutherzigen Bruder die Hand, daß die Riesenfinger in den Gelenken krachten.

Wieder wurde gebaut, Jahrzehntausende lang, langsam, aber dauerhaft; besonders auf gutes Bindematerial aus einwandfreiem Mörtel wurde scharf geachtet. Und nun entstand der südliche Zug des Teutoburger Waldes, die heute mit Buchen bewachsene Kalksteinkette. Und daß sie besser ausgefallen ist als der Sandsteinwall, das sehen wir heute noch ganz deutlich. Die Berge des südlichen Zuges: die Lengericher, Liener, Iburger Berge, der Große und Kleine Freden, der Spannbrink usw. hängen heute noch größtenteils sehr gut miteinander zusammen. Dieser Zug bildet heute noch gleichsam das Rückgrat des ganzen Teutoburger Waldes, während der nördliche, der Sandsteinzug, von vielen Einschnitten, Quertälern durchbrochen und dadurch in einzelne Stücke zersägt ist. So hat sich der Bau des zweiten Walles doch gelohnt. Und solange die Riesen lebten, hat er voll und ganz seine Schuldigkeit getan. Sie konnten ihren Lebensabend in Ruhe verbringen. Erst als ihr Geschlecht in unserer Gegend ausstarb, ist es den Zwergen gelungen, auch in den südlichen Wall einige Breschen zu legen, so bei Iburg und Bielefeld.

Das Geschlecht der Zwerge aber lebt heute noch. Und noch immer läßt es seine Wut an den Wällen aus. Und über Millionen Jahre wird es beide Wälle dem Erdboden gleichgemacht haben.

Wie? Was? Aber dann müßtest du die Zwerge doch schon gesehen haben? - Du kannst sie alle Tage am Werke der Zerstörung sehen: Es sind die Regentropfen, die auf den Berg fallen, es ist der Wind, der über den Kamm des Teutoburger Waldes fegt, es sind die Vorarbeiter Frost und Hitze, die das Gestein zerstückeln, zerbröckeln zu Sand und Staub, so daß der Wind es fortwehen, das Wasser es fortspülen kann, hinab in die Bäche und Flüsse, in die Ebene, ins Meer.

Die Riesen aber, die den gewaltigen Bau einst auftürmten, der damals viel, viel höher war als heute, das waren gewaltige Erdkräfte, Urkräfte im Innern der Erde, welche die vom Kreidemeer abgelagerten Schichen zusammenschoben zu riesigen Falten.

Die Riesen sind tot. - Oder sind sie fortgezogen nach anderen Gegenden der Erde, um ihre Riesenkräfte an anderen ungeheuren Werken zu versuchen, die ihrer würdig sind?

 

1 ... eine nicht ganz ernst gemeinte Sage ... von Alfons Stillig, Sudenfeld
in: Heimatlese, August 1937, 5. Jahr / Heft 11, "Auf dem Dörenberg", S. 271 - S. 275

 

Das Land der Riesen und Zwerge
Teutoburger Wald bei Iburg / Zeichnung von Theodor Doebner, Osnabrück
aus:
Heimatlese, August 1937, 5. Jahr / Heft 11, "Auf dem Dörenberg", S. 259


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