Die Zwergwesen Bergmännchen und Erdmännchen in Iburg

Von Horst Grebing


Der Mythologe Franz Felix Adalbert Kuhn (geb. 19.11.1812 in Königsberg in der Neumark, gest. 05.05.1881 in Berlin) und der Erzählforscher Friedrich Lebrecht Wilhelm Schwartz (geb. 04.09.1821 in Berlin, gest. 16.05.1899 in Berlin) sammelten, angeregt von den Arbeiten der Gebrüder Jacob Ludwig Carl Grimm (1785 - 1863) und Wilhelm Carl Grimm (1786 - 1858), Sagen, Märchen und Gebräuche als Überreste der heidnischen Zeit.

1848 veröffentlichten Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz "aus dem Munde des Volkes" unter dem Titel "Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen"1 ein umfangreiches Buch mit Sagen (S. 1 ff.), Märchen (S. 319 ff.) sowie Gebräuche und Aberglauben (S. 369 ff.).

Zwei mündlich überlieferte Sagen sind aus Iburg:

"361. Die Bergmännchen in Iburg.
In Iburg haben sich früher viele Bergmännchen aufgehalten, die haben dort bei einem Bauer besonders einen Schimmel2 gefüttert, der ist stets viel besser im Stande gewesen als die anderen Pferde und oft hat man eine Stimme rufen hören: "noch 'ne matte förn witten!"
Auf den Spinnrädern dieses Bauern hat auch nie der Flachs gefehlt und sein Brot ist immer viel schöner gewesen als das anderer Leute. Weil nun niemand gewußt, woher das kam, hat mal ein Knecht beschlossen, dahinter zu kommen, hat sich über Nacht versteckt und da gesehen, wie eine Menge kleiner Bergmännchen in ganz zerlumpten Kleidern hervorgekommen sind. Da hat er alles dem Bauer erzählt und der hat sogleich ganz neue Kleider hingelegt, welche auch am anderen Morgen fort waren; aber seitdem sind auch die Bergmännchen nicht wiedergekommen.

362. Bergmännchen schmieden.
Die Bergmännchen bei Iburg haben in alter Zeit auch viel Schmiedearbeit gethan; die Leute haben ihnen nur das Eisen an einen gewissen Ort legen dürfen, dann hat das Geräth am andern Tage auf derselben Stelle fertig da gelegen und dafür hat man nur eine sehr geringe Bezahlung hinzulegen brauchen; einer hat aber einmal Dreck statt Geld hingelegt, und seitdem haben sie nicht mehr geschmiedet."

Gewidmet war die Veröffentlichung "Seiner Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm IV. dem großmüthigen Förderer dieses vaterländischen Werkes in tiefster Ehrfurcht und voll Dankbarkeit".
König Friedrich Wilhelm IV. (1795 - 1861) war der Urururenkel von Sophie Charlotte Herzogin von Braunschweig und Lüneburg (geb. 30.10.1668 in Iburg, gest. 01.02.1705 in Hannover).

Die Sage "Die Bergmännchen in Iburg" wurde später auch in folgenden Büchern abgedruckt3:
Neckel, Gustav (Hrsg.): Sagen aus dem germanischen Altertum, Leipzig 1935.
Peuckert, Will-Erich: Niedersächsische Sagen IV, Göttingen 1968.
Schirmeyer, Ludwig: Osnabrücker Sagen, Rastede/Oldenburg 1947.
Wrasmann, Adolf: Die Sagen der Heimat: Sagenschatz des Regierungsbezirks Osnabrück, Osnabrück 1908.
Zaunert, Paul: Westfälische Sagen, Jena 1927.

Die Sage "Bergmännchen schmieden" wurde ebenfalls in folgenden Büchern abgedruckt3:
Haggerty Krappe, Alexander: Zur Wielandsage, Braunschweig, Berlin und Hamburg 1930.
Marwede, Wendelin: Die Zwergensagen in Deutschland nördlich des Mains, Würzburg 1933.
Peuckert, Will-Erich: Niedersächsische Sagen IV, Göttingen 1968.

Die Gebrüder Grimm veröffentlichten in dem Buch "Deutsche Sagen"1 im Jahre 1816 unter dem Untertitel "298. Das Bergmännchen" (S. 386):
"(...) Still und friedlich wohnt das Zwergvolk in den innersten Felsklüften und arbeitet emsig fort, selten erscheinen sie den Menschen oder ihre Erscheinung bedeutet ein Leid und ein Unglück; (...)"

In "Meyers Konversationslexikon",4 4. Auflage, 1885 - 1892, ist nachzulesen: "Bergmännchen, ein Gebilde der Sage, an das die Bergleute im ganzen nördlichen Europa noch heute glauben. Als altes graues Zwerglein neckt es die Bergleute, die ihm seine Schätze rauben, auf alle Weise; doch gibt es auch gute Berggeister, die einzelne zu Lieblingen erwählen und ihnen Goldadern zeigen, ihre Arbeit fördern etc. (...) Es ist ein Überrest an Zwerge (Unterirdische) überhaupt, der sich an derartigen Lokalitäten erhalten hat (s. Zwerg)."

Die Bergmännchen, an die Gestalt der Zwerge angelehnt, bezeichnet Georg Agricola (1494 - 1555), der als Vater der Mineralogie bekannt ist, in dem Kapitel "Des Georg Agricola Buch von den Lebewesen unter Tage" in dem Buch "De Re Metallica Libri XII" aus dem Jahre 1556 im Verzeichnis als "daemon subterraneus mitis" (=Bergmännlein). Sie tragen Bergmannstracht mit spitzer Kapuze und verrichten bergmännische Arbeiten.

Und wo liegt der Wahrheitsgehalt dieser altgermanischen Zwerge, die sich in Berggegenden in Bergmännchen verwandeln?
Früher wurden im Bergbau viele Kinder eingesetzt, die sich aufgrund ihrer geringen Körpergröße besser unter Tage bewegen konnten. Bei der harten Arbeit im Erdinneren entwickelten sie enorme körperliche Kräfte und Muskeln, aber auch eine sehr gebückte Körperhaltung. Auch beeinträchtigte die Anstrengung und das fehlende Sonnenlicht das Wachstum und beschleunigte den Alterungsprozess, so dass schon Zwanzigjährige (wenn sie denn so alt wurden) wie Greise mit grauen oder weißen Bärten aussahen; viele trugen bei der gefährlichen Arbeit spitze Schutzkappen.5

Die aus Iburg benannten Bergmännchen verdanken ihre Entstehung und Ausschmückung allerdings der bäuerlichen, dörflichen Kultur.
Während Agricola's Bergmännlein nur im Berginnern hausen und mit der Ausfahrt des Stollens ihre Macht verlieren, wirken die bäuerlichen Bergmännchen außerhalb der Berge, treten mit Menschen in mannigfachen Wechselverkehr, und nur ihre Wohnung ist im oder am Berge gelegen. So zeigen diese Bergmännchen schon durch ihre Tracht, dass sie nicht im Kreise der Bergleute, sondern der Bauern entstanden sind.6

Eine weitere Sage mit Zwergen aus Iburg findet sich in dem 1845 herausgegebenen Buch "Deutsche Märchen und Sagen"1 von Johann Wilhelm Wolf (geb. 23.04.1817 in Köln, gest. 28./29.06.1855 in Hofheim am Taunus):

"73. Zwergloch bei Osnabrück.
Bei Osnabrück in den Bergen (Iburgenso) findet man eine Höhle mit unzähligen Irrgängen, die von Zwergen bewohnt werden. Diese machten um geringen Preis den umwohnenden Bauern allerhand Schmiedearbeiten in Eisen, auch anderen Hausrath; war etwas zerbrochen, das durch keine Menschenhand wieder ganz gemacht worden wäre, die kunstreichen Zwerge thaten es mit Leichtigkeit. In Osnabrück sah ich ein Hangeisen, woran man die Kessel übers Feuer hing, das hatten die Zwerge gemacht. Viel erzählte man sich von ihnen, so z.B. daß das Wild in jene Höhle flüchtete, und setzten die Hunde ihm nach, dann kämen sie nicht wieder zum Vorschein. Diese Erdmännchen werden jetzt fast gar nicht mehr gesehen und haben den Umgang mit Menschen fast ganz aufgegeben; es hat nämlich einmal ein muthwilliger Bube, der auch viel Gutes von ihnen empfangen, ihnen zum Danke seinen Koth auf die Stelle gemacht, wo man ihnen gewöhnlich den Lohn für ihre Arbeiten hinzulegen pflegte."

Die Sage findet sich erstmals in Libros VIII, Capitel II, Section IV. in dem Buch "Mundi subterranei Tomus II. in V. libros digestus, quibus Mundi Subterranei fructus exponuntur, et quidquid tandem rarum, insolitum, et portentosum in foecundo Naturae utero continetur, ante oculos ponitur curiosi Lectoris"1 von Athanasius Kircher (geb. 02.05.1602 in Geisa (Rhön), gest. 27.11.1680 in Rom), der in diesem 1678 herausgegebenen Buch versucht, die Erde und deren Struktur von einem physikalischen Standpunkt aus zu beschreiben. Er schreibt über die Örtlichkeit: " (...) in Westphalia non procul Osnabrugo in montibus vicinis (credo Iburgensibus) (...)" (S. 110).

Die Sage ähnelt stark der Sage "Bergmännchen schmieden"; als Zwergloch werden künstlich angelegte unterirdische Höhlen und Gangsysteme bezeichnet.

Über eine Höhle3 zwischen Osnabrück und Iburg schreibt Hans Peter Feddersen der Ältere (geb. 09.01.1788 in Wester-Schnatebüll, gest. 23.09.1863 in Wester-Schnatebüll) unter dem 12. April 18148 in seinem "Tagebuch eines dänischen Soldaten von 1813 bis 1814, oder das merkwürdigste Jahr meines Lebens", welches 1817 in Tondern gedruckt und 1913 in Berlin erneut herausgegeben wurde:

"Jenseits Osnabrück mußten wir über sehr hohe Berge. Es war eine schlimme Sache für die Pferde, die Wagen hinauf zu ziehen; denn es dauerte so lange. An einer Stelle war seitwärts eine große Höhlung im Berge; da konnte man recht sehen, wie er imwendig beschaffen war; er bestand aus lauter Steinen, die stückweise groß und klein aufeinander lagen, doch so, daß die geraden und eckigen Fugen dicht aneinander schlossen. Erde war gar nicht dazwischen, aber obenauf wohl einige Ellen tief Lehm. Heide wuchs fast allenthalben auf diesen Bergen und kleine Birken dazwischen, auch wohl anderes Gebüsch und kleine Tannenwäldchen.

Hinter dem Gebirge lag der Flecken Iburg mit dem Schlosse, welches vorher ein Kloster gewesen ist [Schloß und Kloster waren getrennt]."

Über eine Berghöhle3 bei Iburg wird auch in folgenden Veröffentlichungen berichtet:

Müller, Johannes Heinrich: Vor- und frühgeschichtliche Alterthümer der Provinz Hannover, Hannover 1893:
"Bericht vom Jahre 1879. Es ist in der Nähe von Iburg vor 20 - 25 Jahren eine Berghöhle - alter Schacht? - aufgefunden, worin ganze Massen von römischen Waffen und Geräthen entdeckt wurden. Der Fund ist verheimlicht. Als Beweis dient ein ganz vorzüglich gearbeiteter Celt7, der noch vorhanden ist. Die Sache wird näher untersucht werden."

Stupperich, Reinhard: Römische Funde in Westfalen und Nordwest-Niedersachsen, Münster 1980:
"Iburg, Kr. Osnabrück: Angeblich wurde Mitte des 19. Jh. in einer Berghöhle eine Menge römischer Waffen und Geräte entdeckt, aber verheimlicht. Es ist zweifelhaft, was es damit auf sich hat; weiteres ist anscheinend nicht darüber bekannt geworden; nur ein 'ganz vorzüglich gearbeiteter Celt' soll von dem Fund aufgetaucht sein."

Bei der Berghöhle könnte es sich entweder um einen alten Stollen handeln, den Johann Heinrich Terheyden II zur Untersuchung der Kohlevorkommen um 1790 am Herrenrest anlegen ließ oder um einen ebenfalls dort zwischen 1824 - 1827 von Berg-Inspector Johann Heinrich Terheyden III angelegten 127 m langen Stollen.9

Dr. theol. Karl Wilhelm Thimme (geb. 14.01.1879 in Lohe, gest. 18.01.1966 in Bad Oeynhausen), von 1911 bis 1949 Pastor der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Iburg, schrieb in seinem 1947 erstmals veröffentlichten Märchen "Am grünen Loch", erschienen auch in dem Buch "Spiel und Ernst: Märchen, Legenden und andere Geschichten":

" Noch hatten sich die Zwerge nicht für immer in die unterirdischen Gründe des Dörenberges zurückgezogen (...)", und dann weiter: "Als später das Iburger Schloß erbaut wurde, und da, wo einst der Kohlbach in den kleinen Waldsee mündete, ein Wasserwerk errichtet ward, verlor das Wasser seine alte Kraft. Das grüne Loch verschwand, und nicht einmal den Namen kennt man heute. Auch die Zwerge sah man nicht wieder, und Grauserich, der starke Berggeist, fühlte sich in den sich lichtenden Waldungen nicht mehr wohl, sondern begab sich in die menschenleeren Einöden und Wildnisse des Nordens."10

Eine weitere Sage mit dem Titel "Wie die Riesen Kalzibod und Silibod den Teutoburger Wald erbauten" finden Sie auf meiner Homepage unter http://www.geo-iburg.de/tw.html!

 

1 Siehe: Sagen, Märchen und Gebräuche (über Google-Books)
2
Nach KUHN u. SCHWARTZ 1848 erinnert der Schimmel an Wuotan, der auch auf weißem Pferde reitet. Woutan (althochdeutsch, auch: Wodan, nordisch Odin) ist der höchste von den Germanen verehrte Gott.
3 Morlo, Hans: Höhle am Hüggel durch Erzbergbau oder natürlich entstanden? (http://www.geo-iburg.de/hueggel.html)
4 Siehe: http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=101998
5 Siehe: http://www.irrgartenwelt.de/zwergenberge/ (Webprojekt im VLOH-Verlag, Winsen (Aller))
6 Siehe: http://www.sagen.at/doku/bergbau/Berggeister.html (Quelle: Mackensen, Dr. Lutz: Berggeister. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 1, Berlin und Leipzig 1927)
7
Der Celt (auch: Kelt) ist ein bronzezeitliches Beil.
   In der 1888 erschienenen Veröffentlichung "Vorchristliche Altertümer im Gaue Süderberge (Iburg)" von Franz Ludwig Jostes (1858 - 1925) und Wilhelm Johann Hubert Effmann (1847 - 1917) wird als Fundort eines besonders schönen Kelts eine natürliche Berghöhle in Hagen a.T.W. angegeben. Dieser war in die Hände des Iburger Arztes Dr. med. Kappelhoff gelangt und soll sich anschließend im Besitz des Dr. Joseph Godehard Müller (1816 - 1883, Rat am bischöflichen Konsistorium zu Hildesheim) befunden haben (siehe auch: http://www.geo-iburg.de/hueggel.html).
8 Fangmeyer, Wilhelm: Marsch nach Osnabrück und Umgebung. In: Heimat-Jahrbuch "Osnabrücker Land 1983", Quakenbrück 1982.
9 Grebing, Horst: Kohlenbergbau im Feld "Hilterberg" bei Bad Iburg im Teutoburger Wald, Bad Iburg 2003.
  Johann Heinrich Terheyden II (gest. Februar 1805) war von 1782 bis 1805 als Bergmeister in Borgloh beschäftigt. Sein Sohn Johann Heinrich Terheyden III war von 1805 bis 1840 Direktor des Steinkohlenbergwerkes Borgloh.
10 Zitiert aus: M.Kloweit-Herrmann & H.-J. Zietz: Der Freeden, Bad Iburg 2005.

 


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